Neue Arbeitszeitmodelle für junge Eltern sollen gegen den Fachkräftemangel helfen. In den Niederlanden ist das schon Realität
SECTION: POLITIK; S. 10 | LENGTH: 710 woorden
Wenn Frauen mehr arbeiten sollen, müssen auch Männer flexibler arbeiten – diese Erkenntnis gibt es in den Niederlanden nicht bloß in der Theorie. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist seit einigen Jahren der sogenannte Papatag in Mode gekommen. Bei den in Vollzeit arbeitenden Männern nutzen bereits 20 Prozent ein flexibles Arbeitszeitmodell: Sie arbeiten beispielsweise vier Tage lang neun Stunden, um dann den fünften Tag für die Familie zu nutzen.
Das bekannteste Beispiel für den Erfolg des Papatags ist der ehemalige niederländische Finanzminister Wouter Bos. Der Sozialdemokrat verließ vergangenes Jahr nach der Wahlniederlage seiner Partei die Politik, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Bos arbeitet jetzt vier Tage in der Woche als Partner bei der Unternehmensberatung KPMG. Den fünften Tag ist er Vater.
Anders als in Deutschland, wo Politik und Sozialpartner stets als Patentrezept gegen Fachkräftemangel anführen, die Erwerbsquote der Frauen zu erhöhen, ist im Nachbarland nicht das Grundproblem, dass zu wenig Frauen arbeiten. Im Gegenteil: Die Erwerbsquote der Frauen ist mit 72 Prozent im europaweiten Vergleich sehr hoch, nur in Dänemark liegt sie noch höher. Aber die niederländischen Frauen sind Rekordhalter in der Teilzeitarbeit. Im Jahr 2008 arbeiteten mehr als die Hälfte der weiblichen Beschäftigten weniger als 25 Stunden pro Woche. Sie halten eine Arbeitswoche von drei Tagen für ideal, um Familie und Arbeit unter einen Hut bringen zu können, während der Mann fünf Tage arbeitet.
Teilzeitarbeit wird dabei, anders als hierzulande, auch von Hochqualifizierten akzeptiert. Laut KPMG-Personaldirektor Martin Koning versucht die Firma mit der flexiblen Personalpolitik, eine größere Zielgruppe zu erreichen. “Für uns ist es wichtig, jungen Eltern Flexibilität zu bieten – weil wir sie nicht verlieren wollen, wenn sie im Lebenshöhepunkt stehen”, sagt er. Von Vorteil ist auch, dass die Niederlande weniger demografische Probleme haben. Holländische Frauen bekommen durchschnittlich 1,8 Kinder – weit mehr als die Deutschen mit durchschnittlich 1,4 Kinder. Dennoch schöpft das Land bei wachsender Knappheit an Fachkräften einen großen Teil des Potenzials seiner Hochqualifizierten nicht aus.
Die Regierung versucht daher seit einigen Jahren, Frauen zu motivieren, die Teilzeit aufzustocken. Den Durchbruch brachte die Abschaffung der sogenannten Herdsubvention durch die Christdemokraten im Jahr 2009. Die umstrittene Steuerregel begünstigt Paare, bei denen einer nicht oder nur wenig arbeitet – ähnlich wie das deutsche Ehegattensplitting. Und ähnlich wie dieses motiviert die Regelung besonders Frauen, daheim zu bleiben. Die nun beschlossene Änderung begünstigt den Geringverdiener des Paares. Sie (oder er) wird steuerlich bei zusätzlichem Arbeitseinsatz belohnt.
Doch dieser finanzielle Ansporn reicht der Regierung nicht – obwohl auch vergleichsweise viele Männer bereits Teilzeit arbeiten: Nach OECD-Angaben waren es vor zwei Jahren immerhin 24 Prozent.
Dennoch will die Regierung mehr Väter dazu bewegen, das Papatag-Modell zu nutzen. “Während Frauen voll in Bewegung sind, bleiben viele Männer im alten Muster stecken”, heißt es in einer Auftragsstudie für die Regierung. “Das hindert Frauen daran, vollwertig am Arbeitsprozess teilzunehmen, und nimmt Männern einen Teil der Bindung mit ihren Kinder.” Auch bei den Sozialpartnern gibt es dafür Unterstützung. Vor einigen Jahren entwickelte die größte Gewerkschaft FNV das Modell “4×4 für junge Eltern”: vier Tage Arbeit pro Woche reichen, ohne die Karrierechancen zu gefährden, so FNV.
Die von der letzten Regierung eingerichtete “Taskforce Teilzeit Plus”, ein Beratungsgremium aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Experten, sieht einen solchen Vier-Tage Vertrag allerdings nicht als neues Regelarbeitsverhältnis, sondern nur als eine vorübergehende Lösung für junge Eltern. Sie empfahl der Regierung vergangenes Jahr, dazu das Recht auf flexible Arbeitszeiten einzuführen. Damit können Väter sich selbst einen Papatag organisieren, ohne beim Lohn Abstriche machen zu müssen. Denn das häufigste Argument gegen den Papatag ist laut Forschung der drohende Gehaltsverlust.
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